Inhalt
Immersive Audio und 3D Musik? Es wird in der Tonmeister-Szene wohl kaum ein Wort gerade so gehypt wie „immersiv“. Dabei steht „immersives Audio“ gerne als Synonym für „3D Audio“ und viele denken nur an Musik.
Das unterschlägt, dass selbst eine Mono-Wiedergabe durch eine mitreißende Geschichte auch immersiv sein kann. Und selbst Musik im guten alten Stereo lädt sehr wohl dazu ein, die Augen zu schließen und in eine Klangwelt abzutauchen. Die Qualität und die räumliche Wahrnehmung von Soundsystemen spielen dabei eine entscheidende Rolle, da ein natürlicher und multidimensionaler Klang ein eindrucksvolles und immersives Hörerlebnis ermöglicht.
Noch mehr unterschlägt der Wirbel um 3D Musik aka Dolby Atmos Music und Sony 360 Reality Audio folgendes: In meiner immersiven Audio Welt sind beide Audioinhalte nämlich nur recht nette Spielerei! Ja, ich durfte bei der Tonmeistertagung von KollegInnen schon sehr schöne 3D Musik Mixe hören. Aber was gerade auf Apple Music durch den 3D Fleischwolf gemischt wird, möchte ich mal nicht weiter kommentieren.
Für mich gilt nämlich: 3D Audio ist nicht nur dafür da, irgendwelche Audioobjekte in eine (Halb-)kugel zu setzen. In meiner 3D Audio Blase ist die Technologie dafür da, die kreativen und technischen Grenzen von Stereo zu überwinden. Seit über einem halben Jahrzehnt produziere ich fast ausschließlich immersives Audio in den verschiedensten Kontexten von AR, VR, XR mit und ohne Head-Tracking oder Bildbezug. Was das dann für Anwendungen sind möchte ich anhand meiner letzten Projekte zeigen.
Kunstkopfstereofonie ist schon seit Jahrzehnten ein beliebtes Aufnahmeverfahren für die Wiedergabe auf Kopfhörern. Aktuell kommt aber wieder sehr viel Schwung in die Thematik, da Ton nun auch als dreidimensionales Ereignis für ein größeres Publikum mit Lautsprechern und Kopfhörern immer zugänglicher wird. Außerdem ploppen in den verschiedensten Bereichen zusätzliche Technologien wie Headtracker, Datenbrillen und Echtzeit-Renderings auf, die uns immer realistischer jenen Höreindruck vermitteln, den wir aus unserer natürlichen Umwelt gewohnt sind.
Vereinfacht gesagt, können damit durch den natürlicheren Höreindruck bei uns Menschen Emotionen, Präsenzgefühle und Wahrnehmungen ausgelöst werden, die tief mit den eigenen Erfahrungen verknüpft sind. Das Ganze geschieht unmittelbarer, als es etwa Mono könnte, weil durch die Dreidimensionalität eine Abstraktionsebene wegfällt und für unser Gehirn leichter zu verarbeiten ist. Daher trifft es das Stichwort Immersion, als das Eintauchen in eine virtuelle Welt Umgebung, doch recht gut.
Das ändert natürlich alles – oder nicht?! Die Euphorie unter den TonmeisterInnen ist groß. Aber wo und wann kann 3D Audio überhaupt einen Mehrwert bieten? Wie bereits erwähnt, wurde ich in der Auswahl meiner Projekte über die Jahre recht radikal und mache nichts, was nicht immersiv ist. So gesehen habe ich mich also recht weit von der klassischen Musik- und Filmtonbranche entfernt, um meine eigenen Ideen freier umsetzen zu können.
Doch gerade wegen meiner Begeisterungsfähigkeit hinterfrage ich gerne, ob 3D Ton immer die erste Wahl sein muss. Denn ich möchte davor warnen, „3D Audio“ gedanklich in der Schublade „besser als Stereo“ abzuspeichern. Es gilt also herauszufiltern, wo die neue Technologie bestmöglich funktioniert und was vielversprechende Anwendungsgebiete sein könnten. Die Nutzung von 3D-Soundsystemen bietet dabei den Vorteil, dass mehrere Kanäle flexibel an unterschiedliche Veranstaltungsorte angepasst werden können, um eine immersive und hochwertige Hörerfahrung zu schaffen. Da es sowieso schwer genug ist, dem Thema in Gänze gerecht zu werden, wollen wir hier trotzdem möglichst gut an der Oberfläche kratzen.
Mittlerweile gibt es zum Glück etliche Hersteller, die auf den immersiven Zug aufgesprungen sind: Mikrofone, Plug-Ins, Distributions-Plattformen. Spezialisierte Plug-ins sind besonders wichtig für 3D-Audioerlebnisse, da sie helfen, akustische Positionierungen in virtuellen Umgebungen präzise und ohne Verzögerungen umzusetzen. Trotzdem gibt es noch viel Forschungsbedarf im Bereich Next Generation Audio, personalisiertes Hören, Binauralisierung etc. Gefühlt endet jede Diskussion auf einschlägigen Konferenzen mit dem Stichwort HRTF (Head-Related Transfer Function).
Doch würde ich behaupten, dass uns aktuell weniger die Tools und Theorien fehlen, als das Wissen, was wir in der kreativen Praxis damit tun können und was davon überhaupt Sinn macht. Ich kenne mindestens eine Handvoll KollegInnen, die gleich bei Produktveröffentlichung des Ambeo VR-Mics in Kombination mit einem Zoom F8 zugeschlagen haben; in weiser Voraussicht, dass bald die ganzen 360° Anfragen kommen. Jahre später ist nun klar: das ist nie passiert. Wie kann es aber sein, dass in anderen Bereichen (wie VR) trotzdem so viel in 3D Audio produziert wird, wie nie zuvor? Doch bevor wir in die virtuelle Realität abtauchen, hören wir mal in die Welt der Bewegtbilder rein.
Typische Herangehensweise ist es nämlich, 3D Audio dort zu verwenden, wo es auch schon mit Surround gut geklappt hat. Dass über tausend Kinofilme bereits in Dolby Atmos gemischt wurden, ist wohl kein Geheimnis mehr und allein diese Tatsache ist schon beachtlich. Während man aktuell das Hörerlebnis fast ausschließlich in Kinos oder befreundeten Studios genießen kann, wird der dreidimensionale Mix über Soundbars vermutlich bald auch im heimischen Wohnzimmer vermehrt Einzug finden. Verschiedene Systeme, wie d&b Soundscape und Yamaha AFC3, bieten fortschrittliche Lösungen, um mehrkanalige und objektbasierte Audioerlebnisse zu realisieren und optimieren das Klangerlebnis in der Praxis.
Oder noch einfacher: in quasi jedem Haushalt gibt es Kopfhörer, die eine dreidimensionale Audio-Wiedergabe in Form des binauralen Stereos für KonsumentInnen zugänglich machen. Man bekommt als ZuhörerIn immer mehr das Gefühl, nicht nur einen Film zu schauen, sondern Teil des Geschehens zu sein. MischtonmeisterInnen können sich außerdem über die bessere Transparenz freuen, da mit der spatialen Aufteilung der verschiedenen Klangebenen im Raum weniger Kompromisse eingegangen werden müssen, als bei Stereo. Für mich als “Kritiker” wird neben der Immersion die Suche nach Vorteilen von 3D in diesem Kontext dann auch schon recht dünn. Keine Angst, in anderen Bereichen ist mehr Audio-Gold vergraben.
Unsere Ohren haben übrigens unerwartete Verbündete: Unsere Augen. Als Menschen fällt es uns wesentlich leichter, das Gehörte zu interpretieren, wenn wir es auch sehen. Im 3D Audio Kontext plädiere ich dafür, nicht den Ton dem Bild oder umgekehrt das Bild dem Ton unterzuordnen, sondern eine Symbiose zu schaffen, die für 3D Audio anders angegangen werden muss, als wir es vom klassischen Filmton gewohnt sind.
Es ist schön, wenn man eine immersive Mischung für einen Kinofilm hat. Doch würde diese nur als Stereo vorliegen, würde die Erzählung wahrscheinlich genauso gut funktionieren und nur das physische Immersions-Erlebnis darunter leiden. Das ist auch gar nicht weiter schlimm, doch wird es schwierig, so ZuschauerInnen für 3D Audio auch wirklich zu begeistern. Hier kommt das nächste Hype-Wort ins Spiel: immersives Storytelling. Komplexes Thema, aber das Prinzip ist einfach: Es gilt eine Anwendung zu finden, bei dem räumlicher Ton einen Mehrwert bietet, der über die reine Vertonung hinausgeht.
Wie müsste also ein Video aussehen, das von 3D Audio profitiert und umgekehrt? Genau diese Frage habe ich mir gestellt und daraus ist die Online-Marketing Kampagne „Sounds of Germany“ entstanden. Auftraggeber war die Deutsche Zentrale für Tourismus e.V. und als Industriepartner konnte ich noch Sennheiser Ambeo gewinnen.
Wir alle kennen diese typischen Hochglanz-Tourismus-Clips mit glücklichen Menschen und schönen Landschaften. Aufgabe bei diesem Projekt war es, für eine Online-Marketing-Kampagne vier Videos in vier deutschen Städten zu produzieren, die genau das hergeben. Aber dazu mit 3D Audio vertont sind – sowas gab es noch nie und man will ja im Marketing die Leute immer mit etwas Neuem begeistern. Als erstes habe ich aber gleich wieder davon abgeraten, einfach den gleichen Stil wie immer zu fahren und nur “netter” zu vertonen, weil solche Bilder selten für 3D Audio Effekte geeignet sind, wie etwa Drohnen-Shots, Panoramen etc.
Daher habe ich den Spieß umgedreht und mir überlegt, welche Töne binaural über Kopfhörer für alle ZuhörerInnen zu Hause gut funktionieren, neugierig machen und für das gewünschte Wow-Erlebnis sorgen. Erst im nächsten Schritt habe ich mit AutorInnen und Kameraleuten geredet, wie solche Clips auch visuell aufgelöst werden müssten. Um das volle Potential von 3D Audio herauszukitzeln, habe ich also nicht Bilder vertont, sondern den 3D Ton visualisiert, wenn man so will. Während des ganzen Prozesses hatte ich also mehrere Hüte gleichzeitig auf – Tonmeister, Regisseur und Cutter.
So ist das Konzept entstanden, als immersive TouristIn durch die jeweilige Stadt zu reisen. Dabei sammeln wir charakteristische Sounds, welche sich zu einem Beat zusammensetzen. Und am Ende entsteht daraus zum 250. Geburtstag von Beethoven eine seiner bekanntesten Sinfonien – ich hatte mich ja mit einem komplett experimentellen Konzeptnoch nicht weit genug aus dem Fenster gelehnt. Die vier Clips sind auf meiner Homepage mit weiteren skurrilen Behind-the Scenes Infos zu finden: Sounds of Germany in 3D Audio.
Leipzig war so angetan, dass sie einen zweiten Clip in Auftrag gaben. Um zu hinterfragen, ob die Verwendung von 3D Audio wirklich gut ankommt, habe ich das Video auf einigen Filmfestivals eingereicht. Fazit nach einem Jahr: „Leipzig in 3D Audio“ lief auf 20 Festivals in 10 Ländern und hat 5 davon gewonnen.
Kommen wir zum Thema VR: Zu Beginn erst einmal ein großes „Achtung“: Die meisten TonmeisterInnen reden von VR, meinen aber eigentlich 360° Videos. Solche 360° Produktionen sind aber nur eine sehr kleine Nische der ganzen virtuellen Realität und sollten eher als Spezialfall betrachtet werden. Das L-ISA-System von L-Acoustics bietet eine bahnbrechende Lösung für mehrkanalige Beschallung, die die kreative Freiheit von Musikern erweitert und eine empathische Hörerfahrung schafft.
Es gibt nämlich zwei große Einschränkungen: 360° Videos sind wie herkömmliche Videos zeitlich linear und ermöglichen außerdem nur eine Rotation der Blickrichtung um drei Achsen: X, Y und Z. Auch bekannt als drei Freiheitsgrade (3DoF, three degrees of freedom). Der Hype um solche Produktionen ist bereits abgeflaut und wird in Zukunft wohl nur eine untergeordnete Rolle spielen – auch wenn die Flut an Tools und Plug-Ins einen Bedarf suggeriert, der auf dem Markt kaum noch vorhanden ist.
Dennoch bin ich starker Verfechter von dynamischem Audio Head-Tracking – ein Thema, das aktuell für viele Meinungsverschiedenheiten sorgt. Denn klassisch wird hier bei Surround-Formaten mit Center-Channel davon ausgegangen, dass die NutzerInnen vor einem Bildschirm sitzen und immer nach vorne gucken. Meiner Meinung nach löst Head-Tracking aber Front-Back-Confusion besser als eine personalisierte HRTF es könnte. Apple unterstützt auf Apple Music genau diese Technik, was sie vorausschauend bereits beim Marketing der AirPods platziert haben. Doch die ganzen Dolby Atmos Music Titel bzw. 360 reality audio wurden ohne Headtracking gemischt – Hoppla!
Dazu gibt es auf meinem Blog sehr viele Gedanken, daher als kurzes Fazit: Ich will jetzt nicht sagen, dass alle 3D Musik Mischungen damit für die Tonne sind … aber Headtracking kann super sein, wenn die Anwendung es richtig nutzt. In Kombination mit Filmen macht es auch echt Spaß, das Kino-Erlebnis auf Kopfhörern zu erfahren. Noch besser wird das Potential eben bei 360° Videos ausgereizt.
Wie sollte es anders sein, ist hier nicht nur das Bild eine runde Sache, sondern auch der Ton. Als Quasi-Standard hat sich für 360° Videos das Format Ambisonics etabliert und wird unter anderem seit 2016 von YouTube und Facebook offiziell unterstützt. Hinzu kommt noch eine Head-Locked Stereo Spur, die sich im Gegensatz zum Ambisonics-Schallfeld bei einer Kopfbewegung nicht verändert. Dieser zusätzliche, optionale Audiostream, wird vorzugsweise für Voice-Overs oder Musik verwendet, um Audioinhalte zu erzählen, die sich nicht im virtuellen Raum befinden. Damit verschwimmen die Grenzen zwischen diegetischen und nicht-diegetischen Inhalten.
Ambisonics wird in der Tonszene gerne schlecht geredet, da es gewisse Nachteile, etwa in der Lokalisation mit sich bringt, die auch höhere Ordnungen nur bedingt lösen können. Dennoch hat es aufgrund der Praktikabilität und in Kombination mit objekt-basiertem Audio in Form von Mono-Quellen hier absolut seine Daseinsberechtigung. Da es hier aber vor allem um den inhaltlichen Anteil und weniger um die sich ständig entwickelnde Technik dahinter gehen soll, nun weiter im Text:
Klar würde ich total gerne überallhin etwa ein ORTF-3D Mikrofon mitnehmen. Genau das war aber nur bei nicht mal einer handvoll Produktionen möglich. Dort wurde nämlich mit Kino-Kameras gedreht, welche so groß waren, dass sich damit der Tonmeister samt Mikrofonarray einfach hinter die Kamera verstecken konnte. Ein Beispiel ist die Post-Produktion vom Projekt Anima Mentis etwa zu lesen im VDT-Magazin 2019, Ausgabe 2.
Sonst ist meine Realität eher die, dass ich möglichst viele kleine Mikros in der ganzen Szene verbaue und hoffe, dass diese möglichst wenig Störgeräusche abbekommen. Einfach, weil die Kamera in alle Richtungen blickt und damit Mikrofone auf engstem Raum irgendwo unter dem Kamerastativ oder im Kameraschatten verbaut werden müssen. Sonst sind später in VR auf einmal Mikrofone zu sehen und zerstören damit die Immersion, die man gerade mühsam versucht hat aufzubauen.
Zusätzlich ist die Drehlocation meist alles andere als normal – man will ja auch neue Blickwinkel zeigen. Daher fand ich mich schnell mal in der Wüste in Bangladesch, in kniehohem Tiefschnee auf Skiern in Ischgl oder auch mal auf einem schwimmenden SUP mitten auf dem Chiemsee wieder. Die gerne diskutierten “perfekten” Mikrofon-Arrays in allen Ehren, oft beziehen sich diese jedoch mehr auf Laborbedingungen bzw. klassische (Audio-only) Anwendungsfälle, und weniger auf die tatsächliche Realität in der cross-medialen Produktion.
VR Anwendungen gehen noch einen Schritt weiter und sollten als interaktives Erlebnis betrachtet werden. VR Produktionen haben mehr mit Computerspielen als mit Filmproduktionen gemeinsam. Hier kommt man an Game-Engines wie Unity oder Unreal, und Middlewares wie Fmod oder Wwise nicht vorbei. Neue Softwarelösungen sind entscheidend für die Umsetzung komplexer, mehrkanaliger Soundsysteme, die kreative Prozesse erleichtern und ein verbessertes Benutzererlebnis bieten. Das setzt Programmierkenntnisse und ein gewisses Umdenken in der Audioproduktion voraus. In dieser Interaktivität, die zeitlich nicht linear verlaufen muss, steckt aber das wahre Potential von VR und eben auch von 3D Audio.
Darüber hinaus bekommt 3D Audio eine weitere Komponente, da zusätzlich zu der Achsen-Rotation auch die Transformation anhand der drei Raumachsen hinzukommt. So können sich NutzerInnen also nicht nur von einem fixen Standpunkt aus drehen, also Umsehen (3 DoF), sondern sich auch frei im Raum fortbewegen. Damit werden drei weitere Freiheitsgrade ergänzt und damit auch als Erlebnisse mit 6 DoF (six degrees of freedom) bezeichnet. Somit gibt es nicht mehr die eine optimale Abhörposition, wie sie bei Audiomischungen als Grundlage genommen wird. Vielmehr muss dabei berücksichtigt werden, dass der Standort der Wiedergabe überall im virtuellen Raum sein kann. Damit ergeben sich unfassbar viele Anwendungsmöglichkeiten, den Ton neu zu denken.
Hier vertone ich – anders als im 360° Video Bereich, wo meist die Realität abgefilmt wird – eben genau die Erlebnisse, die in der Realität nicht umsetzbar wären. Erwähnenswert ist hier ein Flugsimulator des legendären Flugboots DO-X. Hier galt es etwa, möglichst authentische Motorengeräusche zu bauen oder die SchauspielerInnen bei mir im Studio im Motion-Capture Verfahren aufzunehmen, damit sie als Avatare später der Szene Leben einhauchen können. Während wir als VR-NutzerInnen Teil der Piloten-Crew sind und später selbst das Steuer übernehmen müssen.
Genug der neumodischen Brillen-Technologie. Gehen wir mal in eine ganz andere Richtung, in der ich in den letzten Jahren herumgedoktert habe. Nämlich Erlebnisse, die ganze ohne visuelle Komponenten auskommen. Man könnte sie auch einfach als binaurale Hörspiele bezeichnen. Hier ploppen immer mehr vergleichbare Formate wie 3D Audio Podcasts auf, zu denen ich vor einem Jahr schon einen recht detaillierten Artikel geschrieben habe, siehe vrtonung.de/blog.
Oftmals scheint es so, als würden bei solchen Produktionen mit DearVR Pro die SprecherInnen munter durch die Gegend gepannt, wobei kein richtiges Konzept zu erkennen ist. Bestenfalls wurden noch binaurale Atmos integriert. Eine Frage, die sich mir als Hörer sofort stellt: Hätte man es dann nicht gleich in Stereo machen können?!
Ein Podcast bzw. Hörspiel profitiert ungemein selbst von einfachstem Sounddesign wie Jingles, Trenner, Atmos etc. Warum die dann viel besser in 3D (und das ist am Ende immer noch binaurales Audio) wirken sollen, liest sich aus den Werbetexten solcher Formate nicht wirklich. Am Ende des Tages ist das nette Sounddesign in Stereo dann halt noch ein bisschen netter, wenn es binaural ist. Man kann vielleicht noch die Stimmen besser den Charakteren zuordnen, aber verrückter Gedanke: Das könnte man mit Stereo doch auch, und da pannt keiner die Sprache nach links und rechts. Wieso sollte das dann binaural so viel anders sein?
Und jetzt kommt wieder der Enthusiast in mir raus: Wie wäre es, wenn man eine Anwendung findet, wo genau das oben genannte Panning durchaus Sinn macht? Daher bin ich Fan von Storytelling, denn das bringt Audio in einen nachvollziehbareren Kontext. Wenn man es also schafft, eine Story zu finden, die direkt erzählt, warum die ganze Szene dreidimensionales Audio nutzt, denkt man auch als NutzerIn gar nicht mehr so sehr über die Technik nach. Man akzeptiert sie und das ist genau das, wo wir eigentlich hinwollen: Die Menschen sollen die Technik vergessen und sich auf die Story fokussieren können. Das ist wohl das Erfolgsgeheimnis vom allseits beliebten und selten erreichten „Virtual Barbershop“.
Angetrieben von dem Gedanken habe ich mehrere Hörspiele produziert, die diesen Gedanken auf die Spitze trieben und meinen Kunstkopf raus aus dem Studio in unbekanntes Terrain brachten. Eins war für die Schweizer Energie-Firma BKW. Aufgabe war es, ein etwa 7-minütiges Audio zu produzieren, was die Werte der Firma (Nachhaltigkeit, Innovation, Netzwerk etc.) widerspiegelt und dabei unterhaltsam ist. Denn das Ganze wurde in einen Live-Stream eingebaut, der statt dem geplanten Großevent mit 3000 ZuschauerInnen coronakonform ausgestrahlt wurde. So kann 3D Audio eine willkommene Abwechslung für die Beschallung zuhause sein, und Kopfhörer hat ja eh jeder griffbereit.
Während ich die Story schrieb, kam die Frage, ob ich mir in der Show zusätzlich zum Hörspiel noch ein Interview vorstellen könnte, in dem ich etwas die 3D Audio Technik erkläre. Klar – mache ich ja immer gern. Und so hat es aus Autoren-Sicht plötzlich Sinn gemacht, dass ich ein Protagonist meines eigenen Hörspiels wurde. Denn im Interview werde ich als Charakter bereits eingeführt und ehe ich mich versah, quetsche mich Hazel Brugger im Livestream über 3D Audio aus.
Dank der Fördergelder im Kulturbereich, welcher von der Corona-Pandemie ja besonders gebeutelt wurde, gab es mehr Möglichkeiten, um mit immersiven Technologien im Theaterbereich zu experimentieren. Erwähnenswert sind etwa die Theater Augsburg und Essen, welche jeweils VR-Brillen nutzen, um ihren ZuschauerInnen neue Möglichkeiten zu geben, ins Theater einzutauchen. Auch hier hatte ich meine Finger im Spiel, da die chinesischen VR-Brillen von Pico den Ambisonics-Ton nicht von Haus unterstützen. Also haben wir eine eigene App entwickelt, die das Problem gelöst hat.
Doch VR ist hier nur eine der unzähligen Möglichkeiten, wie Technik nicht nur als Schnick-Schnack sondern auch mit Mehrwert genutzt werden kann. Hier durfte ich mit Regisseurin Christiane Mudra arbeiten, die schon seit etlichen Jahren ihre Theaterstücke etwa mit Video-, Licht- und Soundelementen erweitert. Dieses Mal stand vor allem – wie sollte es anders sein – 3D Audio im Fokus.
Wieso eigentlich? Vielleicht ein paar Worte zum Inhalt, denn im Stück “Holy Bitch” geht um sexualisierte Gewalt gegen Frauen. Mudra wählt dabei einen investigativen Ansatz, welcher hinterfragt, keine Meinung aufzwingt, sondern die ZuhörerInnen zum Nachdenken anregt und Empathie weckt. Es geht also nicht um plumpe Nachahmung von Gewalt, sondern darum spürbar zu machen, wie Sexismus im Alltag klingt – im echten Leben bis hin zum Internet.
Das Live-Publikum trug während des ganzen Stücks ein kabelloses Kopfhörersystem. Darüber war einerseits das Live-Spiel der SchauspielerInnen über ihre Headsets zu hören. Wir nahmen aber vorab auch etliche Stellen auf, welche Live binaural eingespielt wurden. Damit konnten wir die Erzählebenen verschwimmen lassen, sodass etwa SchauspielerInnen im Dialog mit ihrem inneren Ich aus der Vergangenheit standen. Dank der 3D Audio Technologie konnte also einerseits Verwirrung gestiftet werden, wenn es mal wilder wurde – andererseits aber auch sehr persönliche Momente sehr präsent gehört werden, als wäre man Teil der Intimsphäre der Opfer.
Damit immersives 3D Audio langfristig zum Erfolg wird, reicht es nicht, sich in seinem Studio ein paar Plug-Ins und Lautsprecher zu installieren. So muss meines Erachtens die Position “Tonmensch” während der Produktion erweitert werden; von der bloßen Aufnahme und Mischung in gewisser Weise hin zum Regiedepartment und Projektmanagement. Nur so kann immersiver Sound auch die nötige Wertschätzung bekommen.
Es lohnt sich also, den Spieß umzudrehen und über den Film- und Musikbereich hinaus zu überlegen, in welchen Branchen und Anwendungen ungeahntes Potential steckt. Die neuesten Entwicklungen in der new audio technology bieten dabei spannende Möglichkeiten, insbesondere im Musikbereich, wo immersive Audio und die Produktion von 3D-Musik immer mehr an Bedeutung gewinnen. Getreu dem Motto “Sound First”.
Das ist auch der Grund, weshalb ich mich gerne als “Ton-Enthusiast” bezeichne, und auf meinem Blog über die kleinen, großen, alten und neuen Themen der Tonwelt schreibe. Ich möchte versuchen, meinen Beitrag zu leisten, damit 3D Audio die Zukunft bekommt, die es verdient. Gefühlt ist das Interesse bei vielen TonmeisterInnen gerade sehr groß, auch ein Stück vom “3D-Kuchen” zu bekommen. Aber ich finde der Kuchen muss erstmal gebacken werden und dazu wird es nie kommen, wenn unsere einzige Zutat vom Kuchen etwa AC-4 ist.
Im Bereich immersive Audio herrschen viele Mythen und Fehlinformationen – und ich bin stehts bemüht diese aufzudecken und zu hinterfragen, auch wenn ich mich damit auch mal angreifbar mache. Als Tonprofis haben wir auch eine gewisse Verantwortung, den Weg für die nächste Generation zu ebnen. Das ist auch einer der Gründe wieso ich als Sachverständiger in der Neuordnung der Berufsausbildung “GestalterIn für immersive Medien” sitze, mehr dazu erfahrt ihr hier: Berufsausbildung GestalterIn für immersive Medien.
Bei all dem immersiven Trubel darf man aber nicht den Blick für das ganze große Thema Sound verlieren. Schon jetzt schlagen die nächsten Hype-Themen auf: Künstliche Intelligenz, Blockchain, Voice Assistants, Smartspeaker etc. Was erstmal nach Buzzwords klingt, die fern von unserer Filmton-Welt liegen, handelt es sich eigentlich um ganz heiße Eisen, die man sich als TonmeisterIn mal genau anschauen sollte.
Klingt etwas abstrakt, aber das Wunderbare am Ton ist, dass es sich um eine Querschnittstechnologie handelt, mit der man quasi bei jedem anderen Thema andocken kann – und das geht weit über immersives Audio hinaus. Nun heißt es also, selber MacherIn zu werden, seine Komfortzone zu verlassen und in ungeahntes Audio-Terrain vorzustoßen. Denn es liegt in unserer Hand, Zukunftsmusik zu gestalten und diese hat mehr als nur drei Dimensionen.
Interesse an noch mehr Immersion? Ich biete auf Anfrage Beratungen und Coachings an, sowohl zur Selbstständigkeit als TonmeisterIn (Marktpositionierung, weg von Preisdumping) als auch zum Einstieg in die immersive Audiowelt.
Und was hier nur angeschnitten werden konnte geht auf meinem Blog weiter in die Tiefe:
Zurück zum Blog